Studieren in Zeiten von Covid-19

The new Normal – motiviert online studieren

Von Nicole Beste-Fopma

Bisher ging es in den ersten Semestern darum, auf Parties zu gehen, um viele neue Leute kennenzulernen. Natürlich wurde auch gelernt, aber auch dafür war es hilfreich, andere zu treffen. Entweder um Lerngruppen zu bilden oder aber um sich gegenseitig zu motivieren. Wurde etwas nicht verstanden, konnte eine Kommilitonin oder ein Kommilitone es erklären. Auch konnten während der Lehrveranstaltungen Fragen gestellt und im Zweifelsfall die/der Banknachbar*in befragt werden. Das alles ist mit COVID-19 weggefallen.

Was kann getan werden, um dennoch am Ball zu bleiben. Denn, auch wenn ein Ende in Sicht ist, muss die Zeit und der Lernstoff bis dahin noch bewältigt werden. Wir haben Henriette Garczorz, Mitbegründerin und Coach der bundesweit tätigen Initiative www.erfolgreich-studieren.com befragt.

Studieren heißt in erster Linie: Eigenständig lernen. Vielen fällt das, insbesondere in den ersten Semestern schwer. Seit COVID-19 auch Deutschland fest im Griff hat und fast der gesamte Unibetrieb auf online umgestellt wurde, ist es noch schwieriger. Sich über Monate selbst zu motivieren, ist herausfordernd. Was raten Sie?

Ich rate den Studierenden sich ganz genau mit den eigenen Antreibern, Motiven und Stärken zu beschäftigen. Je besser man diese, insbesondere in dieser Zeit kennt, desto besser kann man sich motivieren oder die richtigen Maßnahmen finden, um weiter zu machen.

Der Schlüssel liegt allerdings in der Selbstorganisation und dem richtigen Verhältnis von Arbeits-und Erholungsphasen. Je kleinteiliger und klarer die Ziele, desto höher die Produktivität. Je besser die einzelnen Aufgaben konkret formuliert und stärkenorientiert (Verlinken auf: https://www.henriette-garczorz.de/blog/die%20eigenen%20Stärken%20kennen) geplant sind, desto einfacher ist der Einstieg in die Produktivitätsphasen. Gleichzeitig ist es wichtig, sich gezielt Auszeiten zu gönnen und diese z.B. dafür zu nutzen, sich mit Kommiliton*innen zu treffen, Sport zu machen oder etwas zu tun, was Spaß macht. Es ist eine gute Zeit, um produktive Routinen zu etablieren.

Oft sind es ja auch die Kommiliton*innen, die den Lerndruck indirekt positiv erhöhen. Auch das fällt jetzt weg. Wie können sich die Studierenden online gegenseitig motivieren?

Zum Beispiel in Lerntandems. So kann ein gemeinsames Tempo entstehen und der Austausch, die Rückmeldung, die gemeinsame Planung und das Durchleben von Erfolg und Misserfolg motiviert und lässt das Gefühl entstehen, nicht allein zu sein. Aber auch in virtuellen Lerngruppen kann man sich wunderbar vernetzen und voneinander zu lernen. Hier kann man sich nicht nur fachlich, sondern auch methodisch austauschen. Es gibt so viele Lernmethoden, so viele Wege, die zum Erfolg führen, dass hier auch ein „best practice sharing“ entstehen kann. Dabei können neue Ideen entstehen, seinen Alltag zu strukturieren oder sich Lernstoff anzueignen.

Was halten Sie von Motivations-Apps wie Habitica (verlinken auf: https://habitica.com/static/home oder To-do Listen wie die von Microsoft (verlinken auf: https://www.microsoft.com/en-au/microsoft-365/microsoft-to-do-list-app?rtc=1) oder Todoist (verlinken auf: https://todoist.com/)?

Viel. Ich nutze sie selbst gern. Aber auch mit einem solchen Tool gilt: A fool with a tool is still a fool.

Auch mit einem Tool sollte folgendes beachtet werden:

  • Sind die Aufgaben präzise formuliert? 
  • Ist klar, was genau der nächste Schritt in einem Thema oder Lernprojekt ist?

Ist es eine Tages-To-Do-Liste oder eine ellenlange Liste von Aufgaben, Projekten und Notizen, die nie ein Ende findet und auf Dauer eher demotiviert als anspornt. Ich empfehle hier, sich Tages-,Wochen- und Monatspläne zu machen und nur so viele To Dos darauf zu platzieren, wie auch wirklich geschafft werden. Damit wird am Ende eines Tages die Gewissheit erzeugt, weitergekommen zu sein und nicht gegen einen unendlichen Berg an Arbeit anzukämpfen.

Kurzum: Die Apps können helfen, wenn sie richtig eingesetzt und aktiv genutzt werden. Allerdings können die motivierende Wirkung des Produktivitätstrackings oder die Erinnerungsfunktion solcher Apps manchmal eine Hilfe oder auch eher störend sein. Hier ist es wichtig, für sich zu experimentieren und herauszufinden, welche App wirklich unterstützt oder ob die gute alte To-Do-Liste reicht.

Viele Studierende sind neu in der Stadt. Haben also keinen Anschluss zu anderen. Kein ungezwungener Austausch mit Gleichgesinnten. Lerngruppen bilden mit Leuten, die man noch nie persönlich getroffen hat? Macht das Sinn?

Ich verstehe, dass es erst einmal ungewohnt ist, sich über den Online-Campus zu vernetzen, um sich dann vielleicht (je nach geltenden Regeln) persönlich wie bei einem Blind Date zu treffen. Hier entscheidet über Sinn und Unsinn die Frage, was mit solchen Treffen erreicht werden soll. Geht es darum, Lerngruppen gegen die soziale Isolation aufzusuchen oder geht es darum, gemeinsam zu lernen und sich den Stoff zu erarbeiten? Wenn es um das konzentrierte Arbeiten geht, müssen andere Faktoren passen, als wenn es darum geht, etwas gemeinsam zu unternehmen.

Aus meiner Sicht ist es in jedem Fall lohnenswert, sich zu vernetzen. Man kann nur gewinnen: Entweder stellt man fest, dass man doch lieber alleine lernt oder man entdeckt, dass der ein oder die andere Mitstreiter*in ein*e gute*r Austausch- oder Lernpartner*in ist und man sich in der neuen Stadt und in seinem neuen Studierendenleben nicht mehr ganz so allein fühlt. Die Situation fordert Offenheit und Mut, Dinge auszuprobieren, die in der aktuellen Zeit den Regeln entsprechen.

Vor COVID-19 konnte sich zu einem persönlichen Gespräch mit den Dozent*innen getroffen werden. Oder sich nach einer Veranstaltung auch mal Feedback holen. Für so manch einen durchaus ein kleiner Motivationsschub. Auch das fällt jetzt weg. Wie kann man sich online Feedback holen?

Viele Dozenten bieten dennoch Gesprächszeiten an, die man nutzen sollte. Aber auch eigeninitiativ nachzufragen und ein virtuelles Treffen zu initiieren, ist ein guter Weg, um in Kontakt mit den Dozierenden zu kommen.

In vielen Studiengängen wird insbesondere in den ersten Semestern rigoros ausgesiebt. Misserfolge sind also an der Tagesordnung. Auch hier fehlt zur Zeit die Möglichkeit zum Austausch mit anderen. Viele sind mit ihrem Scheitern alleine. Wie bleibt man dennoch motiviert?

Hier schließt sich der Kreis. Es geht darum, zu wissen, wo man hinmöchte. Was ist das Ziel meines Studiums? Was möchte ich mit meinem Studium erreichen und wo möchte ich nach den ersten Berufsjahren landen? Hier sollte groß und weit in die Zukunft reichend gedacht werden. Das hilft insbesondere, wer sich bei Misserfolgen fragt, ob sie sich das alles gerade zutraut und ob es weitergehen soll. Es setzt den aktuellen Misserfolg in ein anderes Verhältnis und lässt ihn in der Bedeutung etwas schrumpfen. Gleichzeitig motiviert das eigene Ziel, sich durchzubeißen, dranzubleiben und sich nicht entmutigen zu lassen.

Ich werbe auch nochmals für die Lernpartnerschaft oder Lerntandems, die das gemeinsame Erleben dieser Phasen erträglicher machen. An manchen Hochschulen gibt es auch Mentor*innenprogramme oder die Studierendenbetreuung, die ebenfalls eine gute Struktur bieten, um diese Themen zu besprechen und zu lösen.

Abschließend: Was ist Ihr wichtigster Tipp für alle Studierenden in Zeiten von COVID-19.

Bleib dran und gibt nicht auf! Ich möchte die Studierenden dazu motivieren, viele Wege auszuprobieren, wie sie am besten mit der Situation umgehen können, um produktiv studieren zu können. Der Umgang mit dieser Herausforderung bietet viele persönliche Lernfelder. Wenn alles wieder etwas normaler wird und das erstes Vorstellungsgespräch ansteht, können alle, die auch unter diesen Umständen nicht aufgegeben haben, mit Fug und Recht behaupten, dass sie sich von diesem heftigen Gegenwind nicht in ihrer Motivation und Zielgerichtetheit haben beirren lassen. Im Berufsalltag wird es später auch nicht immer reibungslos laufen und diejenigen, die Lösungen finden, anstelle sich in Probleme hineinzusteigern, werden ihren Weg erfolgreich gehen.

Nehmen Sie diese Herausforderung an, um an ihr zu wachsen und ganz viel auszuprobieren.

Henriette Garczorz hat ihr Studium ausschließlich online absolviert und gibt seit 2012 ihr Wissen und Können als selbstständige Trainerin und Business Coach in Trainings, Coachings, Lehrveranstaltungen und Workshops in Unternehmen und in Bildungseinrichtungen weiter. Sie arbeitet mit Führungskräften und ihren Teams daran, ihre Performance zu verbessern, während sie sich selbst passioniert auf dem Weg des lebenslangen Lernens befindet.